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karakorum highway
Fahrrad-Geschichten


Inhalt

Die Tour kommt ins Rollen

Das grosse Erwachen

Pakistanische Gastfreundschaft

Kaputte Ketten, wackelnde Pedalen und luftleere Pneus

Fliegende Steine und froehliches Winken

Ausgangssperre in Gilgit und ein neugieriger Polizist

Im Schlaraffenland

Auf dem Khunjerab-Pass

Tajiken, Kirgisen und Uiguren

Ueberflutetes Zelt

Das Ende naht

 


Die Tour kommt ins Rollen

Fahrraeder aller Groessen und Farben umgeben uns. Wir koennen uns kaum noch vor und zurueck bewegen. Zwischen all den aufgereihten Modellen vom bunten Plastik-Kindervelo bis hin zum kultigen pakistanischen Eingaenger entdecken wir zwei rotschwarze Mountainbikes mit Gangschaltung. “Sie sind in Taiwan hergestellt und das beste, was ich anzubieten habe“ erklaert Sajid, der fuellige Ladenbesitzer stolz. Waehrend wir die Bikes genauer anschauen, erzaehlt er von seiner Studienzeit in England und wettert ueber Amerika, das staendig Luegen verbreite. Ein kleiner Junge bringt milchigen, zuckersuessen Tee. Wir setzen uns und diskutieren mit Sajid ueber den Preis der Fahrraeder. Bald einigen wir uns auf 4500 Rupien pro Stueck (ungefaehr 65 Euro). Darin enthalten sind zahlreiche Umruestungen wie ein bequemerer Sattel, eine bessere Schaltung, ein stabilerer Gepaecktraeger und neue Pedalen. Selbst die Raeder wechseln wir aus. Sie sind so leicht gebaut, dass wir befuerchten, sie wuerden dem aufgeladenen Gewicht unmoeglich standhalten koennen. Da sind die schweren Metallraeder made in Pakistan schon besser, auch wenn das Einpassen nur mit Gewalt in Form eines grossen Hammers geht...

 

Die erste Steigung

Vom Velohaendler in Rawalpindi fahren wir los zu unserer Bleibe, dem Campingplatz von Islamabad, eine Distanz von etwa 6 Kilometern. Schon die Kreuzung vor dem Laden hat es in sich. Motorrikschas fahren im Slalom durch den blockierten Verkehr, ein alter Mann stoesst mit voller Kraft einen Holzwagen mit Mangos vom Trottoir auf die Fahrbahn. Durch die Mitte traben zielstrebig fuenf Eselchen, deren Satteltaschen mit frischem Beton gefuellt sind. Mittendrin Migg und Caroline auf ihren neuen Fahrraedern. Die Luft ist erfuellt von Abgasen und von lautem Gehupe. Als wir endlich aus dem groebsten Verkehr raus sind, folgt auch schon die erste tuechtige Steigung. Oben angekommen, fragt Caroline: “Sag mal, bist du auch so ausser Atem? Und schmerzen deine Oberschenkel auch ein bisschen?“ Miggs roter Kopf ist Antwort genug. Das kann ja heiter werden auf dem Karakorum Highway, mit vollem Gepaeck auf den Fahrraedern...

 

Moeglichst unauffaellig

Die Fahrraeder sehen so neu und fuer pakistanische Verhaeltnissse so teuer aus, dass wir beschliessen, sie schwarz zu sprayen, damit sie nicht mehr so auffaellig sind. Ausserdem haben wir beide Lust, mal wieder etwas rumzuwerkeln. Wir schrauben also unter den verwirrten Blicken der anderen Reisenden auf dem Campingplatz unsere neuen Bikes komplett auseinander, schleifen den Rahmen ab und sprayen ihn schwarz. Die Aktion hat den positiven Nebeneffekt, dass wir nachher jedes Schraeubchen genau kennen. Doch die Idee mit dem unauffaelligen, alt ausschauenden Fahrrad geht nicht ganz auf. Als wir fertig sind, sehen die Bikes irgendwie noch edler aus als zuvor.

 

Eine Loesung fuers Gepaeck

Lange haben wir darueber nachgedacht, wie wir unser Gepaeck am besten auf unseren Drahteseln verstauen. Sollen wir einen Anhaenger kaufen oder konstruieren? Wo kriegen wir Packtaschen her? Was machen wir mit unseren Rucksaecken? Schliesslich entscheiden wir uns fuer Packtaschen und entdecken gluecklicherweise den kleinen Trekkingladen von Javid, einem begeisterten Bergsteiger. In seinem “Gruemscheler-Laden“ verkauft er allerlei verstaubtes Outdoor-Equipment. Er naeht eigene Rucksaecke, und die Stoffe, die er dafuer verwendet, sind ideal fuer unsere Packtaschen. Das Entwerfen von Velotaschen ist fuer ihn ebenso neu wie fuer uns, und so setzen wir uns gemeinsam hin und entwerfen Taschen nach Mass. Fuer die Rucksaecke, Schlafsaecke und das Zelt lassen wir zusaetzliche Taschen schneidern, die oben auf den Gepaecktraeger zu liegen kommen. Als wir das Geschaeft schliesslich zufrieden verlassen, ist es dunkel geworden, und ein kurzer, aber heftiger Monsunregen hat die Strassen knoecheltief unter Wasser gesetzt.

 

Shalvar kameez

Um in den laendlichen, teilweise sehr konservativen Gegenden keinen Anstoss zu erregen, beschliessen wir, uns traditionelle pakistanische Kleidung zuzulegen. Schliesslich ist es in diesem Land ja schon anstoessig genug, als Frau ueberhaupt Fahrrad zu fahren... Der “Shalvar kameez“ besteht aus einer Hose und einem langen Oberteil, das bis ueber die Knie reicht. Die Frauen tragen dazu einen langen Schal, der entweder den Kopf bedeckt oder elegant von vorne her ueber die Schultern drapiert ist. Syed, ein Pakistani, den wir am Tag zuvor kennengelernt haben, begleitet uns zu seinem bevorzugten Stoffverkaeufer. Migg wird relativ schnell fuendig und sucht sich einen hellgrauen Stoff aus, doch die Frauenabteilung ist ein Graus. Ausnahmslos alle Stoffe sind mit altmodischen Bluemchenmustern bedruckt. Syed wird langsam nervoes, als der Haendler eine Stoffbahn nach der anderen aus dem Regal zieht und Caroline sich einfach nicht entscheiden kann zwischen “roten Bluemchen mit gruen“ oder “gelben Bluemchen mit blau“. “No hurry, sister, take it easy, sister“, sagt Syed immer wieder, meint jedoch genau das Gegenteil. Er wird immer schleimiger und drapiert die Stoffe um Caroline herum, damit er eine Gelegenheit hat, sie heimlich zu beruehren. Nun haben wir endgueltig genug und teilen ihm mit, dass wir ein andermal weiterschauen werden. Wir verabschieden uns von ihm und ziehen alleine weiter. Schliesslich kaufen wir in einem Maennergeschaeft einen einfarbigen Stoff fuer Caroline. Natuerlich tun wir so, als ob er fuer Migg waere... Mit den Stoffen suchen wir einen Schneider auf, der in einem heruntergekommenen Gebaeude direkt am Markt seine Naehmaschine auf einer etwa zwei Quadratmeter Arbeitsflaeche hat. Er nimmt Mass, und Migg erklaert ihm mit Gesten und Zeichnungen, er wolle sein Oberteil nicht bis ueber die Knie, sondern kuerzer haben. Relativ schnell versteht er, worum es geht und naeht eine “radlertaugliche“ Version eines Shalvar kameez.


"Nach Pakistan geht ihr? Das ist doch viel zu gefaehrlich! Da wird euch bestimmt die ganze Ausruestung geklaut". So und aehnlich lauten die Reaktionen, als wir verkuenden, dass unser naechstes Reiseziel Pakistan sei. Das internationale Image eines Landes koennte kaum schlechter sein als jenes von Pakistan. Klar haben viele extreme islamische Organisationen ihre Wurzeln hier, und von zahlreichen Terroristen wird vermutet, dass sie sich in der unzugaenglichen Bergregion an der Grenze zu Afghanistan verstecken. Auch der Konflikt mit Indien um die Kashmirregion flackert immer wieder von Neuem auf. Klar gibt es viele Regionen, die man besser meidet. Doch ist man sich dieser Gefahren bewusst und benimmt man sich nicht in negativem Sinn allzu "westlich", entdeckt man gerade entlang des KKH wunderbare Schaetze, erlebt die Gastfreundschaft der Menschen und eine unwahrscheinlich schoene Landschaft. Am besten holt man sich vor einer Reise nach Pakistan aktuelle Informationen ein, denn die Situation kann sich schnell aendern. 

Das grosse Erwachen

Als wir unsere Bikes vor der Abfahrt das erste Mal komplett bepacken, sind sie so schwer, dass selbst das Anschieben ohne umzukippen einiges an Uebung braucht. Doch viel Zeit, um darueber Nachzudenken, ob es realistisch ist, mit einem solchen Gewicht den KKH zu fahren, geben wir uns nicht. Es ist sechs Uhr, und wir wollen vor der grossen Hitze auf der Strasse sein. Also “gring ache u trampe“!

 

Wir nehmen fuer die ersten 130 Kilometer nicht die klassische Route des KKH, da diese ziemlich unattraktiv und sehr stark befahren sein soll. Stattdessen wollen wir in einem kleinen Bogen durch die Berge bis nach Murree und dann runter zum KKH ziehen. Murree ist eine ehemalige Hillstation der Englaender und heute beliebtes Ausflugsziel fuer reiche Pakistanis aus dem Sueden. Der Lonely Planet bezeichnet die Strasse zwar als “steep and hilly“, doch das ueberlesen wir grosszuegig. In den kuehlen Morgenstunden laeufts besser als erwartet, danach kommt die Hitze. Wir haben an den Vorderraedern je zwei 3-Liter-Kanister mit Wasser montiert, da wir nicht genau wissen, ob wir unterwegs nachfuellen koennen. Die Fluessigkeit rinnt nur so die Kehlen runter. Die Strasse windet sich in steilen Kurven den bewaldeten Berg hoch, der Verkehr wird immer dichter. Es ist Wochenende, und alle wollen nach Murree. Soviel zur ruhigen Strasse durch die Berglandschaft. Wer uns entdeckt, drueckt froehlich auf die Hupe und winkt. Immer wieder halten Autos an, die Leute steigen mit gezueckter Kamera aus und fragen, ob sie uns fotografieren duerfen. Fuehlen wir uns zuerst noch geehrt wie die Stars, so schwindet der Spass mit jedem Bild. Eine Frau streckt Caroline ihr Baby entgegen. Ob sie es bitte fuer ein Bild schnell halten koennte? Die Leute haben gar kein Interesse, uns kennenzulernen, sondern wollen einfach einen Schnappschuss von etwas Aussergewoehnlichem mit nach Hause nehmen. Wir fahren weiter, die Strasse wird steiler, wir langsamer und die Pausen laenger. Nun kommt unsere Untrainiertheit schonungslos zum Vorschein. Irgendwann sind wir so muede, dass wir die schweren Raeder schieben muessen. Was fuer ein “Chrampf“! Immer wieder klingelt es perlend von hinten, ein Zeichen, dass ein typischer pakistanischer Lastwagen mit buntbemalter Holzverschalung und silbernen Kettchen, die aneinander baumeln, im Anrollen ist. Dann heisst es kurz winken, die Luft anhalten, zur Seite schauen und warten, bis er vorbei ist. Denn die Auspuffe gehen nicht hinten, sondern seitlich weg und spruehen einem von oben bis unten ein in eine schwarze Giftwolke. So schoen und maerchenhaft die Trucks bemalt sein moegen; was sie rauslassen, ist richtig eklig.

 

Die Leute, die wir unterwegs treffen, sind ausnahmslos sehr freundlich. Sie koennen es kaum glauben, dass wir mit dem Fahrrad diese steile Strasse hochfahren (wir irgendwie auch nicht) und unterstuetzen uns tatkraeftig. Ein junger Mann, der am Strassenrand Kokosnussstuecke verkauft, rennt heran und schiebt Caroline um eine besonders steile Kurve. Ein paar Kilometer weiter kauft uns ein Mann an einem Stand geroestete Maiskolben. Irgendwann haben wir trotz Unterstuetzung genug “steep and hilly“ und sind froh, als wir endlich am Tagesziel sind.


Pakistanische Gastfreundschaft

Als wir oben auf dem Berg ankommen, ist es laengst dunkel. Muede machen wir uns auf die Suche nach einem Hotel. Die ersten zwei sind ausgebucht, das dritte viel zu teuer. Migg will sich gerade abwenden, als der Hotelmanager auf die Strasse hinauskommt. Sein Name sei Ismail, er begruesse uns herzlich in Pakistan, und was wir denn bezahlen wuerden fuer das Zimmer? Hoechstens den halben Preis, meint Migg. Ismail lacht und sagt, nein, das koenne er nicht akzeptieren. “Wisst ihr was?“ sagt er unvermittelt. “Ihr seid meine Gaeste, ihr koennt gratis hier wohnen. Auf diese Weise werdet ihr mich immer in Erinnerung behalten.“ So ziehen wir ein in sein Hotel, das den Namen “Memories“ traegt. Bald schon ruft er uns zum Nachtessen, tischt knusprige Grillhuehnchen, Roti (Fladenbrot), Raita (Joghurt) und Salat auf. Danach winkt er uns auf die Terrasse hinter dem Haus, loescht alle Lichter und stellt geheimnisvoll drei grosse Bierdosen auf den Tisch. Alkoholkonsum ist in Pakistan illegal, und so trinken wir im Dunkeln, damit die Nachbarn nichts sehen. Wir diskutieren ueber Pakistan und die Schweiz, ueber Politik und Religion, bis unsere Augen vor Muedigkeit zuklappen.


Kaputte Ketten, wackelnde Pedalen und luftleere Pneus

Der Tag beginnt mit einer klassischen Omelette "pakistani-style" mit Chili, Zwiebeln und Tomaten. Gestaerkt fahren wir los, zuerst in einer Schussfahrt abwaerts, gleich darauf wieder steil aufwaerts. Ploetzlich ein Knacken: Miggs Kette ist gerissen. Wir stellen die Raeder am Strassenrand ab und klauben das Flickzeug heraus. Zum Glueck haben wir in Dubai vor der Abreise ein kleines Kettenflicktool gekauft, das sich nun als sehr wertvoll herausstellt.

 

Ein alter Mann mit einem Holzbein hinkt heran und setzt sich neben uns aufs Maeuerchen. Er schaut interessiert zu, wie Migg die Kette flickt. Am gegenueberliegenden Steilhang stehen zwei Maenner und schlagen ihre Pickel unermuedlich in den felsigen Untergrund. Ab und zu loest sich ein Steinbrocken und rollt hinunter an den Strassenrand. Was die beiden da tun, fragen wir den alten Mann. "Sie bauen ein neues Haus. Da sie sehr arm sind, machen sie alles von Hand" antwortet er. Wir staunen, denn das Gelaende ist so steil, dass bei jedem Pickelschlag die Gefahr droht, dass die Hangkante abbricht und die ganze Boeschung ins Rutschen kommt. Doch wir zweifeln nicht daran, dass hier einst ein Haus stehen wird. Denn im Ueberlisten statischer Grundregeln scheinen die Pakistani Meister zu sein.

 

Inzwischen ist die Kette geflickt. Mit einem "choda hafiz" (auf Wiedersehen) verabschieden uns vom alten Mann und ziehen weiter, allerdings nicht weit. Noch zweimal reisst die Kette an diesem Tag. Wir halten an, schrauben und flicken, ersetzen die kaputten Glieder der Kette, fahren weiter, halten an, schrauben und flicken erneut. Erst als wir die Kette durch eine neue, robustere ersetzen, haben wir Ruhe. Doch da kommt auch schon das naechste Problem. Das Pedal an Miggs Bike faellt immer wieder ab, und uns fehlt das richtige Werkzeug, um es dauerhaft zu befestigen. Wir halten bei einer Haeusergruppe an und fragen in einem kleinen Shop nach einem Schraubenschluessel. Der Besitzer kommt mit einem grossen Hammer im Anschlag heraus, und wir koennen ihn gerade noch davon abhalten, das Pedal gewaltsam zu richten. In einer kleinen Autowerkstatt finden wir schliesslich den passenden Schluessel, um die Schraube wenigstens fuer einige Tage zu fixieren.

 

Ein platter Reifen und ein Adler

Nach einigen hundert Kilometern ist es soweit: Der erste platte Reifen. In einem kleinen Restaurant direkt an der Strasse haben wir eine Rast eingelegt und wollen gerade wieder aufsteigen, als Migg merkt, dass seinem Hinterrad die Luft ausgegangen ist. Wir schieben die Raeder ein Stueck, bis wir ausserhalb des Dorfes neben einem kleinen Elektrizitaetswerk ein ruhiges Plaetzchen entdecken. Das Loch im Schlauch ist schnell gefunden und bereits geflickt, als uns ein Mann Zeichen macht. Wir gehen naeher. Er ruft uns zu, er habe da etwas, das wir bestimmt gerne sehen wuerden. Will er uns etwa die Turbinen des Elektrizitaetswerkes zeigen? Neugierig folgen wir ihm zum Gebaeude. Im Hof deutet er in eine Ecke. Auf dem Betonboden sitzt ein junger Adler, ein wunderschoenes Tier, das hilflos mit den Fluegeln schlaegt und mit seinem Schnabel ins Leere hackt. An seiner Kralle ist ein Seil befestigt, an dem der Mann den Adler nun naeher heranzieht. Unsere Reaktion ist nicht ganz so, wie er es sich vorgestellt hat. Statt uns zu freuen, sind wir entsetzt und fragen ihn, was er mit dem Tier vorhabe. Er werde den Adler fuer 50’000 Rupien verkaufen, verraet er uns. Falls diese Angabe tatsaechlich stimmt, ist es fuer einen Pakistani mit durchschnittlichem Einkommen eine horrende Summe. Zur Verantwortung ziehen muesste man eigentlich den Kaeufer, denn dass ein solcher Preis dazu verlockt, auf die Jagd zu gehen, ist in einem armen Land wie Pakistan irgendwie verstaendlich. Wir versuchen dem Mann zu erklaeren, dass es eine Schande und illegal sei, ein wildes Tier einzufangen. Vermutlich versteht er nicht so genau, was wir sagen. Migg nimmt kurzerhand sein Messer aus der Hosentasche und macht Anstalten, das Seil durchzuschneiden. Jetzt beginnt der Mann wuetend zu gestikulieren, und zwei seiner Kollegen kommen dazu. Wir treten vorsichtshalber den Rueckzug an und melden spaeter den Vorfall in einem Hotel, von dem wir wissen, dass es Beziehungen zum WWF hat. Doch der Besitzer meint nur, das Problem sei ihm bekannt, doch er koenne nichts tun, wir haetten es gleich im naechsten Dorf melden muessen.


Fliegende Steine und froehliches Winken

Ein paar Maenner sitzen vor einem Haus, trinken Tee und unterhalten sich. Neben ihnen steht ein Junge. Als er uns kommen sieht, bueckt er sich reflexartig, hebt einen Stein auf und will ihn gerade in unsere Richtung werfen, als Migg einen Schwenker macht und direkt auf ihn zufaehrt. Er deutet ihm, den Stein sofort fallen zu lassen, was dieser auch tut. Die Maenner schauen zu, greifen aber nicht ein, um den Jungen in irgendeiner Form zurechtzuweisen. Wir fahren weiter und denken, nun sei die Situation geklaert. Doch der Junge hat schon laengst einen neuen Stein in der Hand und wirft ihn gerade nach Caroline. Weit daneben zwar, aber trotzdem aergerlich. Hinter der naechsten Kurve stellt Migg sein Fahrrad ab und rennt dem Jungen blitzschnell nach, um ihm die Leviten zu lesen. Die Baeume verdecken die Sicht, und so merkt der Junge viel zu spaet, dass er verfolgt wird. Damit hat er nicht gerechnet und rennt verstoert Richtung Dorf. Als er merkt, dass er keine Chance hat, zu entkommen, springt er kurzerhand die Boeschung hinab, kullert ein paar Meter den Abhang hinunter und verschwindet zwischen den Felsen.

 

Wohl jeder, der mit dem Fahrrad entlang des KKH faehrt, hat aehnliche Geschichten zu erzaehlen. Lange haben wir darueber diskutiert, was der Ausloeser fuer die Steinwerferei ist. Zu einem Ergebnis sind wir nicht gekommen. Machen sich die Kinder einen Spass daraus? Oder ist der Hintergrund Aggression gegen das Fremde, Unbekannte? Auch das Tragen der pakistanischen Kleidung hat uns nicht davor bewahrt, zur Zielscheibe zu werden. Wir vermuten jedoch, dass den meisten Kindern nicht bewusst ist, dass sie einem mit den Steinen ernsthaft verletzen koennten.

 

Nicht nur Steine, auch Schuhe fliegen in Pakistan durch die Gegend. Wir nehmen gerade eine groessere Steigung in Angriff, als aus dem Fenster eines entgegenkommenden Passagierbusses eine Plastik-Schlarpe Richtung Caroline fliegt. Wir halten an, der Bus auch. Migg steigt ab, laesst seine Muskeln spielen und stellt sich beschuetzend vor Caroline. Der Buschauffeur ruft etwas, und der Bus setzt sich wieder in Bewegung. Bei diesem Wurf ging es wohl gezielt gegen Frauen, die es wagen, ohne Schleier und erst noch auf dem Fahrrad unterwegs zu sein.

 

Je noerdlicher desto freundlicher

Das langsame Reisen mit dem Fahrrad erlaubt es einem, auch Zwischentoene wahrzunehmen. Mit der Zeit entwickeln wir eine Art Sensor fuer Stimmungen, die in der Luft liegen. So empfinden wir gewisse Doerfer als “freundlich“, andere als “unfreundlich“. Die Leute scheinen dorfweise entweder sehr konservativ oder eher offen zu sein. Waehrend einem die einen misstrauisch nachschauen, gruessen und winken die anderen. Was sich ueber die ganze Strecke durchzieht sind die Kinder, die uns zurufen “one pen, one pen, give one pen!“. Mit der Zeit geht uns das fordernde Gerufe tuechtig auf den Geist. Es scheint zahlreiche Touristen zu geben, die eine Tasche voller Kugelschreiber mit sich tragen und sie grosszuegig verteilen.

 

Im Norden scheinen uns die Leute grundsaetzlich freundlicher. Dies erklaert sich zum Teil mit der Religion. In der Region um Hunza gehoeren die meisten der Ismaili-Gruppierung an, einer religioesen Absplitterung von den Schiiten. Die Ismailis sind offener als die Sunniten und Schiiten, auch in Bezug auf die Rechte der Frauen. Ihr aktueller Fuehrer ist Aga Khan, der in Frankreich lebt. Das “Aga Khan Development Network“ unterstuetzt die Leute in Nordpakistan durch den Bau von Schulen und Spitaelern und initiiert zahlreiche landwirtschaftliche und kulturelle Projekte, die auf der aktiven Mitarbeit der Bevoelkerung basieren.


Ausgangssperre in Gilgit und ein neugieriger Polizist

Als wir in Gilgit ankommen, ist es bereits dunkel. Wir passieren einen Kontrollposten, tragen unsere Namen und die Passnummer ein und radeln weiter. Auf der Strasse sind ausser Polizisten und Armeeangehoerigen kaum Leute zu sehen. An jeder groesseren Kreuzung sitzt bewaffnetes Militaer, verschanzt hinter Mauern aus Sandsaecken. Alle Geschaefte sind geschlossen. Wir haben zwar davon gelesen, dass es in Gilgit immer wieder Probleme gibt zwischen Schiiten und Sunniten, doch mit einer solchen Polizeipraesenz haben wir nicht gerechnet und fuehlen uns unwohl. Erst spaeter erfahren wir, dass einige Tage zuvor bei einer Schiesserei ein Buschauffeuer umgekommen sei, und dass darum nach Sonnenuntergang Ausgangssperre herrscht. Die Strassen sind nicht beleuchtet, und natuerlich haben wir kein Licht an unseren Fahrraedern. Im Dunkeln suchen wir den Weg vorbei an Schlagloechern und Abwasserrinnen und finden nach mehrmaligem Fragen endlich das “Madina Guesthouse“. Wir treten ein durch ein Metalltor - und finden uns wieder in einem kleinen Paradies. Ein Garten mit duftenden Rosen, Stockmalven und Obstbaeumen umgibt uns. Eine heile Welt inmitten des staubigen Gilgits, geschuetzt von der Aussenwelt durch eine abschirmende Mauer. Yaqoob, der Hotelbesitzer, stellt eine Schuessel mit frischen Aprikosen vor uns auf den Tisch. Sie schmecken einfach wunderbar. Es scheint uns, als haetten wir noch nie so gute Fruechte gekostet. Die Aprikosen sind ganz klein, nur etwa 4 cm lang, doch unglaublich suess und fruchtig.

 

Schuesse in der Nacht

Mitten in der Nacht erwachen wir. Waren das Schuesse? Immer wieder knallt es draussen vor den Mauern. Beunruhigt liegen wir wach und fragen uns, was wohl passiert ist. In unserer Fantasie sehen wir schon die Toten einer Massenschiesserei. Was sollen wir tun? Aufstehen, um herauszufinden, was passiert ist, oder besser Ohren zu und weiterschlafen? In Gedanken schmieden wir schon Plaene, wie wir aus der Misere entkommen koennen. Als sich im Haus nichts regt, schlafen wir schliesslich wieder ein. Am naechsten Morgen scheint uns alles ganz normal. Vorsichtig fragen wir nach, ob niemand die Schuesse gehoert habe in der Nacht? Wir erfahren, dass die vermeintliche Schiesserei eine “Hunde-Saeuberungsaktion“ war. Der Koran beschreibt Hunde als unrein, und so werden die unliebsamen Herumstreuner vom Militaer bei Nacht und Nebel eliminiert.

 

Ein Polizist will es wissen

Am naechsten Tag soll es losgehen auf ein Trekking, und wir kaufen in Gilgit Proviant ein. Ein junger Polizist spricht uns an und fragt, ob er uns zum Tee einladen duerfe. Wir nehmen an und treten ein ins Halbdunkel eines kleinen Restaurants mit einigen Holztischen. Neben dem Eingang glimmt ein Feuer, auf dem der Tee gekocht wird. Der Polizist erzaehlt uns in gutem Englisch, dass er frueher als Berg-Guide gearbeitet habe. “Seid ihr verheiratet?“ fragt er uns. “Ja“ (seit wir in Pakistan sind, gelten wir offiziell als verheiratet). “Ist es eine Liebes-Heirat?“ kommt auch schon die naechste Frage. Wir erklaeren ihm, dass man sich bei uns frei entscheiden kann, wen man heiratet, und es bei uns keine arrangierten Hochzeiten gibt. Er meint, das wuensche er sich fuer Pakistan auch. Immerhin habe sich in den letzten Jahren einiges in diese Richtung veraendert, zumindest in den Staedten.

 

Nach einem weiteren Schluck Tee erzaehlt er uns, dass er vor einigen Jahren als Berg-Guide gearbeitet habe und am liebsten mit Frauen unterwegs gewesen sei. Einmal habe er sogar eine Affaere mit einer Englaenderin gehabt, die unbedingt wollte, dass er mit ihr das Zelt teile. Dann will er wissen, ob er in Europa einfach in eine Disco reingehen koenne, sich eine Frau aussuchen und mit ihr ins Bett gehen koenne. Im gleichen Atemzug fragt er Migg, ob es ihm denn egal sei, wenn Caroline fremdgehe. Soviel er wisse, schlafe in Europa jede mit jedem. Unglaublich, diese verzerrte Sichtweise! Wir erklaeren ihm, wie es wirklich ist...


Im Schlaraffenland

Die gruenen Doerfer im Hunza-Tal kommen uns in der ansonsten sehr kargen und steinigen Landschaft vor wie Oasen. Dahinter erheben sich vor blauem Himmel die schneebedeckten 7000- und 8000er. Auf Terrassen bauen die Bewohner Getreide, Gemuese und Obst an. Da reifen Maulbeeren, Kirschen, Pflaumen, Aepfel und Aprikosen heran, die frisch gegessen, getrocknet und zu diversen Produkten verarbeitet werden. Am Rande der ueppigen Gaerten stehen in langen Reihen Pappeln, die Brenn- und Bauholz liefern. Moeglich macht diese reiche und vielseitige Ernte auf ueber 2400 Metern Hoehe ein ausgekluegeltes Bewaesserungssystem. Die Gletscherfluesse werden angezapft und das Wasser in schmalen Kanaelen ans gewuenschte Ort gelenkt. Wir haben Glueck: Als wir im Hunza-Tal ankommen, ist die Aprikosensaison in vollem Gange. Die Baeume sind voll mit reifen Fruechten, und auf den Daechern der Steinhaeuser sind sie in flachen Koerben zum Trocknen ausgelegt. Wir trinken Aprikosensaft, essen Aprikosensuppe und Aprikosenkuchen.

 

Ein Geschenk mit Folgen

Wir sind inzwischen weit oben im Norden angelangt. Migg faehrt einige Hundert Meter voraus, da ruft poetzlich eine helle Stimme “hello“. Ganz irritiert schaut er sich um. Ja, es ist tatsaechlich eine Frau, und nun kommt sie auch noch auf ihn zu. Mittlerweile ist auch Caroline heranpedalt. Die Frau fragt, ob wir Fruechte moechten und eilt auch schon ins Haus, um sie zu holen.

 

Seit einigen Tagen hat ein Wechsel stattgefunden, und die Frauen gehoeren wieder zum Strassenbild. Sie gehen einkaufen, plaudern auf der Strasse miteinander oder arbeiten im Gemuesegarten. Es gab am Anfang des KKH Abschnitte, auf denen wir tagelang praktisch keine Frau sahen, und wenn, dann irgendwo in der Ferne auf dem Feld arbeitend. Dass eine Frau gar einen fremden Mann anspricht, ist weiter suedlich undenkbar. Uns freut es riesig, endlich wiedereinmal mit einer Frau zu sprechen, und mit Haenden und Fuessen plaudern wir eine Weile.

 

Sie gibt uns eine grosse Tuete voll kleiner Mirabellen mit, und uns laeuft das Wasser im durstigen Munde zusammen. Kaum haben wir das Dorf hinter uns gelassen und einen geeigneten Rastplatz gefunden, steigen wir auch schon ab und fallen ueber die Fruechte her. Sie sind so saftig und geschmackvoll, dass wir nicht mehr aufhoeren koennen, bis auch die letzte Frucht weg ist. Eine halbe Stunde spaeter beginnen unsere Maegen zu rumoren. Wir bezahlen unsere Gier mit Durchfall...


Die offizielle Amtssprache Pakistans ist das Urdu, das auch in Teilen Indiens gesprochen wird. Doch lediglich 10% der Bevoelkerung hat Urdu als Mutterspraeche. 58% sprechen Punjabi, der Rest entfaellt auf dutzende weitere Sprachen mit diversen Dialekten. In Hunza beispielsweise wird Burushaski gesprochen, eine uralte Sprache, deren Herkunft nicht genau belegt ist. Sie soll ueber 30 verschiedene Pluralformen haben... Auch die Leute wiederspiegeln diese Vielfalt. Gerade im Norden Pakistans, wo der Handel einst bluehte, und wo Eroberer kamen und gingen, lebt heute ein spannender Voelker-Mix. Im Hunza-Valley trifft man viele hellhaarige Leute mit gruenen, oft sogar blauen Augen, die sehr europaeisch aussehen. 

Auf dem Khunjerab-Pass

Die Chinesen lassen es seit einiger Zeit nicht mehr zu, dass irgend jemand individuell ueber die Grenze einreist. Als Grund wird die Sicherheit genannt, doch in Wahrheit ist es wohl nur ein chinesischer Akt der totalen Kontrolle. So muessen alle, die nach China wollen, in Pakistan vor dem Khunjerab-Pass den Bus nehmen und duerfen ihn erst im chinesischen Tashkurgan, rund 100 km nach der Passhoehe, wieder verlassen. Mit diesen Vorschriften nehmen die Chinesen den Fahrradfahrern die Freude, aus eigener Kraft den hoechsten Punkt des KKH auf 4730 Meter ueber Meer zu erreichen. Vor allem aber bringen sie einem auch um eine Abfahrt, die man wirklich verdient haette. Die Pakistanis erlauben einem zwar nach Hinterlegen des Passes die Fahrt auf die Passhoehe, doch dann heisst es umdrehen und wieder retourfahren. Wir verzichten auf dieses Spiel und nehmen lieber gleich den Bus. Die Bustickets sind total ueberteuert, und fuer die Velos wird ein saftiger Zusatz erhoben. Wir diskutieren eine Weile rum und muessen schliesslich nur fuer ein Fahrrad bezahlen.

 

Parkgebuehr und die Bekanntschaft mit "Leo"

Die Strasse windet sich, eng an den Fels gechmiegt, durch eine wilde Berglandschaft mit engen Schluchten. Sie fuehrt durch den 1975 gegruendeten Nationalpark, in dem es Schneeleoparde und Marco Polo Schafe geben soll. Neben einem kleinen Gebaeude haelt der Bus an, und der Chauffeur ruft, alle Auslaender muessten hier aussteigen und die Nationalparkgebuehr bezahlen. Wir finden, der Pakistani, der vor uns sitzt und zuvor eine Keksverpackung sowie eine leere Petflasche aus dem Busfenster geworfen hat, haette allen Grund, diese Gebuehr auch zu bezahlen... Im Buero fragen wir nach, wofuer das Geld denn eingesetzt werde. Der Geldeintreiber haelt uns ein zerknuelltes Papier mit den Bestimmungen hin. Ja, wir haben verstanden, doch was fuer Projekte werden mit diesem Geld realisiert? An der Wand haengt keine einzige Infotafel, es gibt auch keine Prospekte ueber den Nationalpark. Als wir sagen, das Geld fliesse bestimmt direkt an die Regierung und versande irgendwo, wird der anwesende Parkwaecher wuetend. Er koenne uns schon zeigen, was sie mit dem Geld machten, sagt er und geht mit uns zu einem Nebengebaeude. Er oeffnet die Tuere, und herausspaziert kommt ein kleiner Schneeleopard. Seine Mutter sei umgekommen, und sie wuerden “Leo“ nun aufpaeppeln und spaeter auswildern. Klar finden wir den kleinen obersuess, doch er scheint sich schon so an die Menschen gewoehnt zu haben, dass wir bezweifeln, ob er sich in der Wildnis je wieder zurechtfinden wird. Doch vielleicht taeuschen wir uns. Wir sind auf jeden Fall besaenftigt und bezahlen nun die Gebuehr, was ja das Ziel der Vorfuehraktion war.


Tajiken, Kirgisen und Uiguren

Kaum ueber der Grenze, spuert man sofort einen deutlichen Wechsel. Ein halbes Dutzend uniformierter Maenner rennt vor einem neu aussehenden Gebaeude mit riesigen roten China-Flaggen geschaeftig hin und her. Mitten im Nichts, zwischen Bergen, Wiesen und Geroellfeldern. Etwas spaeter wechselt das Bild. Erste Jurten kommen in Sichtweite, davor stehen Frauen in bunten Roecken und ebenso bunten Kopftuechern. Der Westen Chinas ist besiedelt von Minoritaeten, den Tajiken, Uiguren und Kirgisen.

 

Triste Grenzstadt

Wir kommen an in Tashkurgan, der offiziellen Grenzstadt. Die Strassen, alle rechtwinklig zueinander verlaufend, sind gesaeumt von eintoenigen Fassaden mit Baeckereien, Kraemerlaeden und kleinen Restaurants im Untergeschoss. Eine doerfliche Atmosphaere, in der die zumeist leeren, breiten Strassen und Kreisel ueberdimensioniert wirken. In der Luft liegt irgendwie eine triste Stimmung. Bilden wir es uns nur ein, oder kann man unterschwellig die Unterdrueckung der Voelker durch die Han-Chinesen spueren? Wir erfahren, dass alle offiziellen Stellen, zum Beispiel in Banken, von Chinesen besetzt sind. Die Amtssprache ist Mandarin-Chinesisch, doch sehr viele Leute, so haben wir den Eindruck, sprechen kaum chinesisch und koennen mit den Schriftzeichen ebenso wenig anfangen wie wir.

 

Ein kirgisisches Dorf

Auf grossen Holztischen sind die Wassermelonen zu hohen Bergen aufgetuermt, beschattet von bunten Sonnenschirmen. So eine muessen wir haben! Aus einem Haus klingt froehliche Tanzmusik. Frauen auf Eselskarren fahren heran, um einzukaufen. Sie tragen weite, verschiedenfarbige Roecke, dazu hochgeschlossene gerueschte Blusen und Kopftuecher. Sehr stolz wirken sie und irgendwie frech. Nach der langen Zeit in Pakistan ist das Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlen, richtig wohltuend. Wir kaufen bei einer alten Frau frische Ringbroetchen und eine Wassermelone, die wir bald darauf am Rande eines Feldes essen. Die Region ist gepraegt von Landwirtschaft. Entlang der Strasse stehen zahlreiche Bauernhoefe, langgezogene Lehmbauten mit reich verzierten Holztueren und lauschigen Innenhoefen, die von Weinreben beschattet sind. Hinter den Haeusern erstrecken sich grosse Felder, auf denen Mais, Melonen und andere Fruechte angebaut werden. Immer wieder sehen wir grosse Bauten aus akkurat aufgemauerten roten Ziegelsteinen. Ob dies wohl die Bauernhoefe der Chinesen sind? Wir haben gehoert, dass die Regierung die Region systematisch mit Han-Chinesen besiedelt. Wer in den Westen zieht und einen Bauernhof betreibt, bekommt vom Staat angeblich das doppelte Gehalt.

 

Kilometerlange Schotterpiste

Nach dem gleichen Muster wie im Tibet wird auch der Westen Chinas durch breite Strassen erschlossen. Die “guten“ Chinesen bringen die Zivilisation in ein “unterentwickeltes“ Gebiet. Zur Zeit ist der KKH eine grosse Baustelle. Wir werden auf der Schotterpiste durchgeschuettelt und kommen nur langsam vorwaerts. Die zwei letzten Tage vor Kashgar fahren wir auf frisch geteerter Strasse. Die Fahrbahn ist so breit wie eine Autobahn. Befahren wird sie von Eselskarren, alle paar Stunden kommt ein Lastwagen vorbei.


Ueberflutetes Zelt

Die Sonne sinkt tiefer und tiefer. Noch haben wir keinen Schlafplatz gefunden. Entweder sind die Taeler so eng, dass gerade der Fluss und die Strasse Platz haben, oder die Landschaft ist so offen, dass jeder uns sehen kann. Endlich entdecken wir unterhalb einer Boeschung ein flaches Plaetzchen, das von der Strasse her nicht zu sehen ist. Es liegt direkt neben einem Bewaesserungskanal, der recht viel Wasser fuehrt. Sollte es regnen und der Kanal ueber die Ufer treten, haben wir ein Problem. Wir riskieren es trotzdem, da es nicht so aussieht, als wuerde es demnaechst regnen. Vorsichtshalber lassen wir die Taschen gepackt im Vorzelt stehen. Irgendwann erwachen wir von einem lauten Donnergrollen. Bald regnet es stark. Muss das sein? Wir oeffnen den Reissverschluss und spaehen ins Vorzelt. Mit Erschrecken sehen wir, dass das Wasser bereits fuenf Zentimeter hoch steht, Tendenz steigend. Schnell weg hier! Wir packen die Schlafsaecke ein und eilen nach draussen. Es ist nicht der Bewaesserungskanal, der uns ueberschwemmt hat, sondern das Wasser, das von der steinigen Boeschung ablaeuft und sich bei uns, am tiefsten Punkt, sammelt. Im stroemenden Regen tragen wir die ganze Ausruestung den Hang hinauf, zuletzt das Zelt. Dreckverschmiert legen wir uns nochmals fuer einige Stunden hin. Am Morgen scheint die Sonne, und wir legen alles aus zum Trocknen. Wir goennen uns zuerst einmal einen Illy-Kaffee, den wir in Dubai von unseren Mitbewohnern geschenkt bekommen haben.


Das Ende naht

Wir spueren, dass wir uns langsam der Stadt naehern. Die Besiedlungsdichte nimmt zu, ebenso der Verkehr. Unsere Fahrradtour neigt sich ihrem Ende zu. Als wir im laermigen und modernen Kashgar eintreffen, wuenschen wir uns zurueck in die Berge. Doch trotz einer gewissen Wehmut sind wir auch stolz, dass wir die Strecke mit unseren Billigfahrraedern ohne groessere Probleme geschafft haben. Wohl zum Erstaunen einiger Reisenden, die wir unterwegs angetroffen haben, und die uns immer etwas mitleidig belaechelt haben. Doch es geht auch ohne Shimano-Schaltung und federleichten Rahmen. Im Gegenteil, wir wuerden niemandem empfehlen, den KKH mit einem teuren Hightech-Bike zu fahren. Das Risiko, dass es beschaedigt wird, waere uns zu hoch. Kommt hinzu, dass die Herausforderung, die Strecke mit einem 65-Euro-Bike zu fahren, viel groesser ist. Etwas wuerden wir allerdings das naechste Mal anders machen: Unser Gepaeck waere hoechstens noch ein Drittel so schwer! Denn die Gewichtsbelastung war fuer die Fahrraeder und fuer unsere Knie an der Grenze. Auf jeden Fall sind wir nun einmal mehr wieder so schlank und fit, als waeren wir einem Wellness-Magazin entstiegen (haha)...


zurueck




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Last update:  09:46 26/02 2007